Der Kaeser ohne Kleider

Klingt das absurd? Nur beim ersten Lesen. Denn es gilt noch immer, und verzeihen Sie mir bitte, dass ich mich hier selbst aus einem früheren Beitrag zitiere: „Wer keine Strategie hat, kann sie auch nicht kommunizieren.“ Wer glaubt, taktisch agieren und kommunizieren zu können, ohne eine dahinter liegende Strategie zu haben, stellt sich selbst ein Bein und wird von der Öffentlichkeit in die mediale Grube gestoßen, die man anderen gegraben hat. Aber von Anfang an.

Die Fakten sind schnell erzählt: Siemens will eine Signal-Anlage für 18 Millionen Euro an eine australische Kohlemine liefern. Dagegen hatten Klimaaktivisten vor der Siemens-Zentrale protestiert, vorneweg Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von „Fridays for Future“. Siemens-Chef Joe Kaeser, der eigentlich Josef Käser heißt, bot daraufhin der Klimaaktivistin Neubauer Gespräche und einen Sitz im Aufsichtsrat von Siemens Energy an, was diese allerdings ablehnte.

Der Imageschaden dieses durchsichtigen taktischen Manövers ist immens:

Siemens hat, erstens, Vertragspartnern durch die Diskussion und durch verbale Zugeständnisse an die Klimaaktivisten signalisiert, sich eventuell nicht an die Vertragsvereinbarungen für die Lieferung der Signalanlage halten und eventuell vom Vertrag zurücktreten zu wollen. Das hat zu einem Vertrauensverlust geführt. Die Vorstellung, dass eine Weltfirma darüber nachdenkt, Verträge zu kündigen aufgrund einiger Dutzend protestierender Klimaaktivisten vor der Münchner Zentrale, war gewöhnungsbedürftig.

Joe Kaeser hat, zweitens, durch das überhastete Angebot an Luisa Neubauer die Funktion des Aufsichtsrats entwertet. Es entstand der Eindruck, dass man keine Kompetenzen für einen Sitz im Aufsichtsrat bei Siemens vorzuweisen braucht. Nicht nur die Funktion des Gremiums wurde beschädigt, sondern auch dessen Mitglieder.

Das taktische Manöver, drittens, die Klimaaktivistin vorführen zu wollen, war zu durchsichtig. Dass sie das Angebot ablehnen und damit zeigen würde, sie wolle lieber auf der Straße protestieren, statt Verantwortung für ihre Forderungen zu übernehmen, war zu erwarten. Somit war es folgerichtig und vorhersehbar, dass Luisa Neubauer das Angebot Kaesers ablehnte. Sie trug keinen Image-Schaden davon, weil sie gar nicht verlieren konnte.

Wer Kritiker in Verantwortung einbinden will – und daran ist nichts Verwerfliches - muss das sauber planen und bei der Umsetzung behutsam vorgehen. Er braucht die Rückendeckung seines Unternehmens und eine authentische und glaubwürdige Kommunikation. Keine Hau-Ruck-Aktion an einem Wochenende im Alleingang.

Durch das unsichere Lavieren des deutschen Wirtschaftsbosses wurde deutlich: Siemens und Kaeser haben keine Idee, keine Strategie, wie mit den Forderungen der Klimaaktivisten umzugehen ist und welche Art der Kommunikation einer nach Nachhaltigkeit strebenden Öffentlichkeit angemessen ist.

Das darf man getrost vielen anderen Unternehmensbossen auch unterstellen, und vielleicht war das Beispiel Kaeser für sie dabei sogar hilfreich: Die Gesellschaft fordert die Unternehmen auf, ihre „Licence zu operate“ neu auszurichten. Mehr Ökologie und weniger Ökonomie. Wer das versäumt, trägt den Schaden. Die anderen Unternehmen sollten sich rüsten. Strategisch und kommunikativ.

Wer versucht, kurzfristig und aus dem Ärmel geschüttelt Geländegewinne auf diesem Gebiet zu machen,  läuft Gefahr, durchschaut und vorgeführt zu werden. Joe Kaeser hat auf ganzer Linie verloren. Nicht gegen Luisa Neubauer, sondern gegen sich selbst.
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