Drei Fragen an: Cathi Bruns - Unternehmerin, Autorin und Publizistin
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Cathi Bruns ist kreative Unternehmerin, Autorin und Publizistin. Mit ihrem Briefing- und Debatten-Format 4.Mio+ streitet sie für eine starke Kultur der Selbstständigkeit und arbeitet als Gründerin ihres 1-Frau Kreativ-Studios workisnotajob. und dem Projekt Happy New Monday mit kleinen und großen Unternehmen an Positionierung und der kreativen Unternehmensentwicklung. Ihre Bücher zu moderner Selbstständigkeit und der Arbeit von morgen haben eine neue Generation von Gründern inspiriert, Arbeit nicht mehr mit „Job” zu verwechseln.
F: Frau Bruns, die Ampel hat sich gerade nochmals auf den Haushalt 2025 einigen können, und im Zuge dessen will sie mit einem „Konjunkturpaket“ die Wirtschaft ankurbeln. In diesem Paket stecken u.a. Ideen, wie: Überstunden von Arbeitnehmern steuerfrei zu stellen, ausländische Fachkräften eine Steuererleichterung zu geben und wenn Teilzeit-Arbeitskräfte ihre Stundenzahl erhöhen wollen, soll es steuerliche Anreize für die Unternehmen geben. Grund für diese Maßnahmen : es fehlen uns die Fach- und Arbeitskräfte.
Was aber auch fehlt - es gibt es von Seiten der Ampel keinerlei Bemühungen um die Selbständigen. Weder die, die bereits in Deutschland sind, noch diejenigen, die sich als ausländische Selbständige hier niederlassen würden. Sie kämpfen seit Jahren für die Kultur der Selbständigkeit und für eine neue Gründungsmentalität - aber wenn man sich in Deutschland so umschaut, von Coronahilfen bis zum Haushalt 2025 - ist da nicht viel. Von welcher „Kultur der Selbständigkeit“ reden wir denn in diesem Land?
A: Ich rede vor allem erstmal davon, dass wir sehr aufpassen müssen, was wir kultivieren. Deutschland ist ein Angestelltenland, nicht bloß zahlenmäßig, denn das ja ist klar, aber es wird auch zu einer Mentalität. Selbstständigkeit verliert immer mehr an Bedeutung, obwohl die Möglichkeiten, unternehmerisch erfolgreich sein zu können, vielfältiger geworden sind. Eine Gesellschaft, die den Anspruch an Selbstständigkeit aufgibt, verliert Freiheit. Dagegen wehre ich mich. Es wird Zeit, dass wir unser gestörtes Verhältnis zur Selbstständigkeit überwinden.
Als politischer Mensch und Selbstständige, die mit großem Interesse Arbeitsmarktthemen und die Entwicklungen in der modernen Arbeitswelt verfolgt, sehe ich die großen Potenziale einer modernen Selbstständigkeit, die viel zu wenig gehoben werden. In keinem Land wird so über die Arbeit geklagt und gleichzeitig so sehr auf einen Chef bestanden. Dabei haben wir die Möglichkeit, Arbeit und Wirtschaft stärker mitzugestalten. Gründungen müssen heute nicht mehr sehr kapitalintensiv sein, wer sich unternehmerisch ausprobieren will, kann sofort beginnen. Dieser unternehmerische Anspruch an sich selbst und die eigene Arbeit scheint sich trotz immer besseren Zugangsmöglichkeiten zu Märkten überhaupt nicht durchzusetzen. Weil die zugehörige Kultur fehlt. Hier wird zuerst nach Fördertöpfen und den richtigen Formularen geschaut. Daher möchte ich mit meiner Arbeit für mehr Sichtbarkeit von selbstständiger Leistung und Klarheit über die Realitäten von Selbstständigen sorgen. Und die wichtigen Zusammenhänge möglichst breit diskutieren. Je mehr Stimmen, Vorbilder und Vordenkerinnen es gibt, die an ein neues Unternehmertum glauben und Selbstständige als wichtige Gruppe von Erwerbstätigen in die Debatte holen, desto selbstverständlicher wird auch die Selbstständigkeit.
F: Warum tut sich gerade Deutschland mit seinem starken und ausgeprägten Mittelstand politisch so schwer mit der Selbständigkeit und dem freien Unternehmertum?
A: Ja, man würde denken, dass politische Entscheidungen sich von wirtschaftlichen Realitäten nicht so weit entfernen. Ungünstige Regelungen entstehen aber ja nicht, um Selbstständigen absichtlich zu schaden. Sondern häufig, weil sie gar nicht im Blick sind, oder sogar beschützt werden sollen. Politisch und auch gesellschaftlich wird sich darauf verlassen, dass sie weiter zuverlässig abliefern, egal wie unangenehm die Standortbedingungen sind. Selbstständige machen zudem keine große Wählergruppe aus. Wir leben von der unternehmerischen Substanz. Sie hat sich als überaus belastbar erwiesen. Aber das geht nicht für immer so weiter.
Die mittelständischen Familienunternehmen, die Stabilität und Wohlstand garantieren, von denen ein paar zu Konzernen geworden sind, gehen bald alle auf die 100+ Jahre. Über 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind allerdings kleine und mittlere Unternehmen. Schon jetzt kann die größer werdende Mittelstands-Lücke beobachtet werden, also Probleme eine Nachfolge zu finden und zu wenig Neugründungen, die das kompensieren. Allerdings erleben wir auch immer mehr politische Weichenstellung, die es dem Mittelstand schwer macht und den Konzernen einfach. Denken wir nur an Lieferkettengesetze und Nachhaltigkeits-Reportings. Die Konzernisierung scheint also politisch gewollt. Ich halte das für eine fatale Entwicklung. Die Gründe für magere Gründungszahlen werden aus meiner Sicht nicht ernsthaft genug betrachtet, die Auswirkungen nicht realisiert. Deutschland rühmt sich mit einer breiten Förderlandschaft, hat aber trotzdem wenig neues Unternehmertum. Da spielt also etwas anderes eine größere Rolle. Und da sprechen wir noch nicht mal von den vergleichsweise hohen Steuern. Wenn man sich die Umfragen ansieht, dann ist die Top-Antwort, die unternehmerischen Drive killt, die vielen Vorschriften. Deutschland bürokratisiert alles, was sich bewegt und solange man in diesem Land mehr falsch als neu machen kann, wird Unternehmertum nicht attraktiver. Hinzu kommt eine gewisse Staatsgläubigkeit als Grundrauschen, die Problemlösungskompetenz immer beim Staat und Fehlentwicklungen immer bei der Wirtschaft verortet. Selbstständige müssen dringend selbst mehr für ihre Sichtbarkeit tun, um besser verstanden zu werden.
F: Wie wirkt sich die Nicht-Wertschätzung der Selbständigkeit in Deutschland Ihres Erachtens auf die Innovationsfähigkeit aus und auf die Wettbewerbsfähigkeit?
A: Deutschland wird ja noch eine gute Innovationsfähigkeit zugeschrieben, aber natürlich hängt das zusammen und sehr wahrscheinlich wird das ein Problem. Ich will nicht behaupten, dass es gar keine Gründungsdynamik gibt, es gibt übers Land verteilt schon tolle Startups und einen innovativen Mittelstand - aber bei Weitem nicht ausreichend Gründungslust in der Breite der Bevölkerung.
Und Deutschland ist zwar ein Champion der Industrie, aber für die moderne Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft haben wir kaum Ideen. SAP, als eines der wenigen Softwareunternehmen, feierte gerade den fünfzigsten Geburtstag. Sie wurde mal von fünf Gründern als GbR gestartet. Die wahnsinnige Entwicklungsfähigkeit, die in der Selbstständigkeit steckt, wird politisch grotesk missachtet. Daran scheint wirklich niemand zu denken, wenn man Soloselbstständige in die prekäre Kümmer-Ecke argumentiert und Selbstständigkeit nicht mehr mit sozialem Aufstieg, Vielfalt und Innovation, sondern nur noch mit fehlender Absicherung verbindet. Das Bewusstsein über den selbstständigen Beitrag in diesem Land gibt es schlicht nicht. Uns selbst fehlt der Gründergeist, gleichzeitig sind wir auch nicht anziehend genug für Gründungswillige aus dem Rest der Welt. Politisch dreht sich auch beim Unternehmertum alles nur um Angestellte. Wer Arbeitsplätze schafft, hat eine Daseinsberechtigung, aber vor allem Pflichten. Selbstständige, die keine Beschäftigten haben, werden direkt wie die Entbehrlichen behandelt, die besser in einer Festanstellung aufgehoben wären. Auch aufgrund der übermächtigen Rentenversicherung, die das Arbeitsmodell vieler Freier verkompliziert. Das ist eine ganz alte Denke, die noch nicht in der Wissensgesellschaft angekommen ist. Wenn Selbstständigkeit selbstverständlich wäre, wären auch die Strukturen ganz andere. Ein Umdenken und echte Weiterentwicklung in dieser Hinsicht wird Deutschland schwer fallen und ist langwierig. Denn das ist ja alles nicht neu. Wer sich an Herzogs Ruck-Rede erinnert, der wird sich ein Lachen verkneifen müssen. Aber ich sehe nicht, dass wir ohne eine andere Arbeitskultur, mit viel mehr Selbstständigkeit und neuem Unternehmertum den Wohlstand halten oder langfristig in der Welt mithalten können.
F: Was sind die häufigsten Gründe, die Sie von jungen Menschen hören, warum sie sich nicht selbständig machen wollen?
A: Wenn ich mit jungen Menschen spreche, dann haben sie meist viele Ideen und große Lust etwas Eigenes umzusetzen. Kaum jemand weiß schon genau, was er oder sie beruflich machen will, aber Unternehmertum ist ja auch kein Beruf, sondern eine Art, die eigenen Ideen in die Welt zu bringen und davon leben zu können. Was jungen Menschen fehlt, sind die unternehmerischen Vorbilder, die Selbstständigkeit normalisieren. Das deckt sich auch mit einer ganz aktuellen Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Demnach können sich 40 Prozent der jungen Menschen eine Unternehmensgründung vorstellen. Aber Angst vor Überforderung und Stress und auch mangelndes Wissen über unternehmerische Denk- und Handlungsprinzipien halten sie ab. Andere Studien, etwa der KfW merken an, dass sich die Gründungsbereitschaft in den letzten 10 Jahren zwar vergrößert hat, die Gründungstätigkeit aber zurückgeht. Irgendetwas passiert also vom Wunsch zur tatsächlichen Umsetzung. Und ich weiß auch was: Deutschland. Selbstständigkeit muss endlich selbstverständlich werden - nicht als politisches Kümmerfeld, sondern gekennzeichnet von Respekt für unternehmerische Ambition: Auf dem Bildungsweg, in der politischen Kommunikation und Programmatik, in jeder Hinsicht.
F: Was spricht für die Selbständigkeit?
A: Nichts spricht dagegen. Außer die Verinnerlichung der abhängigen Beschäftigung. Ich glaube, es ist falsch, sich aus einer Erwartung an mehr Annehmlichkeiten heraus selbstständig zu machen. Gründer müssen einen wichtigeren Grund haben. Je höher wir die Freiheit schätzen, desto eher wird man sich für das eigene Unternehmen entscheiden. Selbstständigkeit erlaubt es, sich in die eigene Richtung weiterzuentwickeln und viele Dinge umzusetzen. Sie ist die Emanzipation von einer Arbeitswelt, in der immer andere entscheiden, ob und wann man an die Arbeit gehen kann. Die Freiheit frei zu arbeiten. Mit ihr geht immer auch eine enorme Persönlichkeitsentwicklung einher. Man wächst an seiner Sache. Man muss Verantwortung für sich und seine Arbeit übernehmen, man lernt Risiken einzuschätzen und mit Ungewissheit umzugehen. Es ist die große Chance, Unabhängigkeit zu lernen. Etwas zu tun und weiterzuentwickeln, das einem entspricht, hat enorme Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit. Der soziale Aufstieg ist unternehmerisch weitaus realistischer. Einkommensmillionäre sind überwiegend Unternehmer und Selbstständige. Die Festanstellung hat viele Vorteile, die sich fast ausschließlich um vermeintliche Sicherheiten drehen und dafür eben Anpassung verlangen. Wer das nicht will, der leidet unter dieser Abhängigkeit. Ich bin natürlich nicht gegen die Festanstellung, das wäre absurd - aber ich bin für die Selbstständigkeit. Und wir brauchen auch Leute, die sich raus wagen, mit ihren Ideen und der Gesellschaft unternehmerisch ein Angebot machen. Vor allem aber wäre eine Kultur schön, in der Chancenorientierung und ein unternehmerisches Selbstverständnis ganz normal sind und unternehmerische Verantwortung nicht selbstverständlich durchgereicht wird.
F: Welche drei konkreten politischen Maßnahmen würden Sie sich von der Ampel wünschen, damit das leben der Selbständigen einfacher würde in Deutschland?
A: Selbstständigkeit und Unternehmertum normalisieren wir, wenn wir es in den Bildungsweg integrieren. Daher gehört Entrepreneurship Education in jede Schule und jede Uni und zwar nicht als Insel-Projekte oder durch punktuelle Schülerfirmen, sondern fächerübergreifend. Unternehmertum muss man niemandem beibringen, wichtiger ist es, Selbstständigkeit nicht auszutreiben.
Zügig braucht das Land zudem faire, der Selbstständigkeit förderliche Regelungen zur Verhinderung von Scheinselbstständigkeit. Dazu gehören klare Positiv-Kriterien, welche die Macht weg von der Rentenversicherung hin zu Selbstständigen verlagern.
Ich möchte aber betonen, dass ich nicht in erster Linie die Politik in der Verantwortung sehe, Selbstständigkeit zu fördern, sondern ihre Aufgabe darin sehe, faire Rahmenbedingungen für Marktzugang, Wettbewerb und soziale Sicherung zu schaffen und nicht zu versuchen, in alle Details hineinzuregieren. Gift für Unternehmertum sind zu hohe Belastungen und zu viele Vorschriften, die alle in den Wahnsinn treiben. Ein Land, das unter Fachkräftemangel ächzt und im globalen Wettbewerb steht, kann sich das Verjagen von Gründergeist und freier Arbeit einfach nicht mehr länger leisten.