Interview mit Gilda Sahebi über die aktuelle feministische Revolution im Iran

Gilda Sahebi, im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen, ist ausgebildete Ärztin und studierte Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Antisemitismus und Rassismus, Frauenrechte, Naher Osten und Wissenschaft. Sie ist Autorin für die »taz« und den »Spiegel« und arbeitet unter anderem für die ARD. Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini und der darauf folgenden Protestbewegung berichtet sie unermüdlich über die Geschehnisse im Iran. Über ihre Social-Media-Kanäle und als Gesprächspartnerin in diversen Talkshows erklärt sie und ordnet ein. Damit zählt sie zu den wichtigen Stimmen über den Iran. Der »Focus« ernannte sie 2022 zu einer der »100 Frauen des Jahres«, das »Medium Magazin« zur Journalistin des Jahres in der Rubrik Politik. Gilda Sahebi lebt in Berlin.

Wir haben sie zur aktuellen feministischen Revolution im Iran befragt.

Q: Frau Sahebi, momentan ist es in den deutschen Medien leider wieder etwas ruhiger bezüglich der Berichterstattung aus dem Iran geworden. Können Sie uns einen kurzen Überblick über den Stand dort geben? Gibt es denn noch Demonstrationen, und gehen die Vergiftungen an den Mädchenschulen weiter? 

A: Es gibt immer wieder Demonstrationen, wenn auch nicht täglich wie in den ersten drei Monaten der Protestbewegung. Die Vergiftungen an Lehranstalten von Mädchen und Frauen waren zum Beispiel zuletzt Anlässe, zu denen wieder protestiert wurde. Nach einer Phase, in der jeden Tag Berichte über Dutzende bis Hunderte betroffenen Schülerinnen kamen, hört man inzwischen wenig von weiteren Vergiftungen. Was meines Erachtens ein Hinweis darauf ist, dass das Regime selbst dafür verantwortlich war. Nachdem es sein Ziel erreicht hatte - Angst und Schrecken unter jungen Menschen und den Eltern zu verbreiten - konnten die Giftanschläge beendet werden. Insbesondere nachdem die Wut der Menschen groß wurde. 

Q: Es ist unglaublich, mit welchem Mut, vermutlich auch Mut der Verzweiflung die Frauen und Mädchen im Iran Risiken eingehen, verhaftet, hingerichtet, gefoltert oder sogar vergiftet zu werden - was  bestärkt die Frauen trotz dieser Gefahren in ihrem Glauben und ihrer Motivation, Veränderung herbeiführen zu können?

A: Sie wissen, wofür sie kämpfen - für Freiheit, Gleichberechtigung und für das Leben. Wohingegen das Regime nur für den eigenen Machterhalt und für Geld unvorstellbare Gewalttaten ausübt. Jene, die sich gegen das Regime engagieren - ob mit zivilem Widerstand, indem sie das Kopftuch ablegen oder indem sie protestieren - wissen, dass sie die Mehrheit der Bevölkerung im Iran hinter sich haben. Die Menschen haben die Gräueltaten der Machthaber mit eigenen Augen gesehen - im Netz, in Exil-Medien oder sie sind selbst betroffen. Diese Wucht der Unterdrückung, die nun für alle und für die ganze Welt sichtbar ist, macht die Wucht des Widerstands aus, und auch den Glauben daran, dass die Menschen, irgendwann, das Regime stürzen werden. Den Glauben daran, dass dieses Regime irgendwann stürzen muss. 

Q: Welche Rolle spielen die Männer im Zusammenhang mit der feministischen Revolution im Iran in ihrer Funktion als Ehemänner, bzw. Väter und wie wirkt sich das auf das innerfamiliäre Zusammenleben aus?

A: Viele Männer und LGBTIQ-Personen haben sich dem Protest der Frauen und dem Ruf "Frau, Leben, Freiheit" angeschlossen. Das hat auch damit zu tun, dass in der Vergangenheit Männer genauso machtlos waren, sexuelle Übergriffe und sexualisierte Gewalt gegenüber ihren Töchtern, Müttern, Schwestern oder Ehefrauen zu verhindern - es gibt ja keine Gesetze, die Frauen schützen würden, und die einklagbar wären. Viele Männer haben verstanden, dass die Befreiung des Landes allein durch die Befreiung der Frau (und der ethnischen Minderheiten) gelingen wird. Zum familiären Zusammenleben kann ich nicht viel sagen, das ist zu individuell als dass sich allgemeine Schlüsse ziehen ließen.

Q: Gibt es denn irgendwelche Veränderungen im Iran, gibt es eine spürbare Wirkung auf den Aufbau der Schutztruppen (Revolutionsgarden) und Sittenpolizei, eventuell sogar auf die Regierung?

A: Die Sittenpolizei war monatelang von den Straßen abgezogen und die Regeln der Zwangsverschleierung wurden weniger durchgesetzt. Seit Anfang des Jahres wird allerdings wieder härter durchgegriffen. Taxifahrer werden bestraft, wenn sie Frauen ohne Hijab mitnehmen, Geschäfte werden angewiesen, Frauen ohne Kopftuch nicht einzulassen und nicht zu bedienen. In den Städten ist eine extrem große Präsenz der Streitkräfte und der Milizen - das Regime will unter allen Umständen weitere Proteste verhindern. Es kann nur durch reine Gewalt überleben, deswegen ist es wichtig, dass Polizei, Milizen und Revolutionsgarden zusammengehalten werden. Es gab allerdings in den vergangenen Monaten immer wieder Berichte von Abtrünnigen - das ist die große Angst des Regimes.

Q: Lassen wir die iranischen Frauen alleine, müsste das auch aus dem Westen mehr kommen, und wenn ja, was?

A: Es müsste auf jeden Fall mehr von westlichen Regierungen kommen. Diese fahren wie gehabt eine Politik der Annäherung an das iranische Regime, das sie auf der Weltbühne wie jede andere Regierung behandeln. Von Isolierung der Machthaber ist keine Spur. Das bedeutet für die iranische Führung: Egal, wie wir uns verhalten, mit welcher Gewalt wie agieren, wie viele Menschen wir töten und einsperren, Frauen vergewaltigen - uns wird nichts passieren. Auf diese Weise stabilisiert sich das Regime, obwohl der Großteil der Bevölkerung gegen die Islamische Republik ist. Nötig wäre eine konsequente Sanktionierung der Führungsstruktur und der Machthaber und eine Unterstützung der Zivilgesellschaft - beides passiert allerdings nicht.

Interview geführt von: Olivia Richter

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