Drei Fragen an: Julie Rusk von Civic Wellbeing Partners

Das Wohlbefinden, das Wellbeing, von Menschen ist schwer zu messen. Es kommt auf sehr  viel mehr an als nur auf wirtschaftliches Wachstum oder einen sicheren Arbeitsplatz. Wie wohl fühlen sich die Menschen dort, wo sie wohnen und arbeiten, welche Möglichkeiten haben sie in Beruf wie Freizeit, wie sicher fühlen sie sich? Die Stadt Santa Monica in Kalifornien wollte es genau wissen und hat einen kommunalen Wellbeing Index erarbeiten lassen, für den sie 2015 erstmals die erforderlichen Daten erhoben hat. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, das Thema Wellbeing Index auch in Deutschland bekannter zu machen. Vor kurzem hatten wir die Möglichkeit, mit Julie Rusk und ihrem Team zu sprechen und ihr ein paar Fragen zu stellen. 
 
Was waren die ausschlaggebenden Faktoren bei der Wahl eines Wellbeing Index für Santa Monica?

Wir hatten in Santa Monica eine Reihe von Schicksalsschlägen zu verkraften, nämlich die Selbsttötungen einiger Jugendlicher, und es bestand deshalb der Wunsch, so etwas zukünftig zu verhindern. Unser Ansatz war es, das Potential von Daten zu nutzen, um Menschen zu helfen. Wir wollten wissen, wie die Alltagserfahrungen der Bürgerinnen und Bürger in Santa Monica aussehen. Und das sollte über die ökonomisch orientierten Messgrößen hinausgehen, die so oft von Regierungen verwendet werden.   

Dazu haben wir die derzeit wachsende Forschung zum Thema Wellbeing genutzt, um den Rahmen für unseren Index zu schaffen. Wir haben mit der RAND Corporation mit Sitz in Santa Monica kooperiert, und mit der New Economics Foundation, einem Think Tank, der bereits in Großbritannien im Bereich Wellbeing tätig war, und haben uns darüber hinaus von einem internationalen Expertengremium beraten lassen.  

Das Ergebnis war ein Wellbeing Index, der sechs Bereiche umfasst: 

- Ausblick: Wie geht es den Menschen? 
- Gemeinschaft: Wie ausgeprägt ist der Gemeinschaftssinn, die Sicherheit in der Stadt und das bürgerschaftliche Engagement?  
- Stadt und Umwelt: Wie verbessern wir mit umweltgerechtem Städtebau die Lebensqualität?
- Lernen: Wie fördern wir lebenslanges Lernen? Haben die Menschen die Möglichkeit dazu?
- Gesundheit: Wie körperlich und geistig gesund sind unsere Bewohner?
- Wirtschaftliche Chancen: Sind wir eine Stadt der Vielfalt?

Die Daten für den Index stammen aus quantifizierbaren Daten wie Bildungsniveau, Kriminalität, Nutzung von Verkehrsmitteln, Krankenstatistik und so weiter. Wir haben aber auch Daten aus den Sozialen Medien analysiert, dabei haben wir positive und negative Emotionen der Nutzer bei Alltagsereignissen in Santa Monica untersucht. Schließlich entwickelten wir noch einen Fragebogen, um Informationen über die Lebenszufriedenheit, die sozialen Verbindungen, Wohnen und Gesundheit der Menschen in Santa Monica abzufragen.

Der Wellbeing Index wurde in den Jahren 2015, 2017 und 2019 erhoben. Er ist das geeignete Instrument, die Ergebnisse nach ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Geschlecht, Nachbarschaft und anderen Schlüsselfaktoren präzise darzustellen und somit Zusammenhänge aufzuzeigen. Die Datenvisualisierungen, Zusammenfassungen und detaillierte Analysen sind ja auf unserer Website einsehbar. 

Der Zustand der Gemeinde wird dadurch klar und datenbasiert der Verwaltung zurückgespiegelt. Damit verfügt diese über wichtige Informationen, um bessere Entscheidungen zu treffen. Sowohl die Stadtverwaltung wie auch sozial tätigen Organisationen können somit exakter auf die Bedürfnisse der Gemeinde eingehen. 

Was waren die größten Herausforderungen?

Das gab vier wegweisende Punkte: Wir mussten einerseits die Stadtverwaltung davon überzeugen, dass Veränderungen nicht zwingend mehr Arbeit mit sich bringen - sie können auch weniger Arbeit bedeuten, wenn man klügere Wege beschreitet. Veränderungen und neue Herangehensweisen erfordern eine Mischung aus Beharrlichkeit und Geduld!

Schwierig waren auch die Entscheidungen, welche Daten erfasst werden. Es ging nicht um mehr Daten, sondern darum, die richtigen Daten zu finden. 

Eine weitere Herausforderung bestand darin, die Geschichten hinter den Daten so zu erzählen, dass sie verständlich sind. Wir fanden dazu kreative Wege, vor allem in Zusammenarbeit mit Designern und Studenten und indem wir die Erfahrungen direkt aus der Gemeinde mit einbezogen.

Und schließlich mussten wir das Verwaltungshandeln so ausrichten, dass das Wohlergehen der Bewohner wieder im Mittelpunkt stand.

Wie hat der Wellbeing Index das Stadtmanagement beeinflusst?

Wir haben 2017 mit der Neuausrichtung des städtischen Haushalts begonnen, um so die gesamte Arbeit der Verwaltung auf den Wellbeing Index auszurichten. Dies hatte für die Verwaltung weitergreifende Veränderungen in der Wahrnehmung der eigenen Arbeit zur Folge. 

So bekamen beispielsweise die Polizei, die Bibliothek und der städtische Wohnungsbau Budgets und Programme zugewiesen, um gezielt verschiedene Aspekte der Obdachlosigkeit aufzuzeigen.

Das half zu erkennen, dass eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit mit gebündelten Ressourcen effektiver ist als viele separate Einzelmaßnahmen. 

Bis 2019 hatten wir den Haushalt der Stadt dann so umgeschichtet, dass die Ziele und Ergebnisse der Verwaltung an den Wellbeing Index gekoppelt waren. Dies war ein bedeutender Schritt hin zur Einbettung des Wellbeings in die Kommunalverwaltung.

Welchen Nutzen brachte der Wellbeing Index für Santa Monica?

Das Schöne am Wellbeing ist, dass viele Menschen davon profitieren. Es war ein bedeutsamer Schritt, den Menschen zu zeigen, dass sie von ihrer Verwaltung erwarten können, dass sie sich darum kümmert, wie es ihnen geht, und nicht einfach nur Straßen baut. Dass wir von der frühen Kindheit an bis hin zu städtischen Flächennutzungsplänen, von der öffentlichen Sicherheit bis hin zu öffentlichen Bauvorhaben das Wohlergehen der Menschen im Blick haben, führt dazu, die Schwerpunkte und die Wirkung der Verwaltungstätigkeit zu verändern.

Im Jahr 2017 wurde das  Amt für Lebensqualität, das „Office of Civic Wellbeing“, eingerichtet. Es sollte die Messung des Wellbeing-Indexes sowie entsprechende Maßnahmen in allen Abteilungen der Verwaltung sicherstellen.

Das Amt war federführend bei den Bemühungen der Stadt gegen Rassismus und richtete das Wellbeing Microgrants-Programm für die Einwohner ein. Im November 2019 veranstaltete das Büro den ersten Wellbeing-Gipfel für Aktionen und Ideen zum Thema Lebensqualität.

Im Juli 2020 ging die Arbeit des Office of Civic Wellbeing nun zu Civic Wellbeing Partners über. Die Folgen der COVID-Pandemie und die daraus resultierende Wirtschaftskrise zwangen die die Stadt zu drastischen Einschränkungen und zur Gründung neuer Partnerschaften, um die Verwaltung zu unterstützen. Civic Wellbeing Partners berät nun die Verwaltung, NGOs und andere Einrichtungen dabei den Wellbeing Index zu implementieren. 

Wie haben die Bewohner den Wellbeing Index akzeptiert?

Um es mit den Worten einer bekannten Politikerin in Santa Monica zu sagen: “Früher konzentrierte sich die Verwaltung hauptsächlich auf Gebäude, Verkehr und Ähnliches. Aber wir glauben, dass die Aufgabe der Regierung auch die Menschen sind, ihr Wohlergehen und ihre Lebensqualität... Der Wellbeing Index liefert jetzt die Daten, die unsere Aussagen unterstützen und dazu beitragen können, den Fokus der Stadt und der Gemeindemitarbeiter zu lenken. Der Wellbeing Index erinnert uns an Dinge, die wir bereits wissen, aber auch an viele Dinge, die wir nicht wussten. Und jetzt, da wir es wissen, können wir uns mit diesen Problemen und Herausforderungen auseinandersetzen, damit sich die Bewohner auf ihr Wohlbefinden, ihre Familien und die Dinge, die ihnen wichtig sind und ihnen Freude bereiten, konzentrieren können".  [Irma Carranza, Auszug aus der Huffington Post von Oliver Balch, 12. Januar 2018]
 
Weiterführende Links:
 
•   Civic Wellbeing Partners  www.santamonicawellbeing.org
 
•   Well-Being: Expanding the Definition of Progress, Edited by Alonzo L. Plough, Oxford Press October 2020 [Afterward Chapter written by Julie Rusk] www.rwjf.org/en/library/research/2020/05/well-being--expanding-the-definition-of-progress.html
 
•   Smart at Scale: Cities to Watch 25 Case Studies, Global Future Council on Cities and Urbanization, World Economic Forum www3.weforum.org/docs/WEF_Smart_at_Scale_Cities_to_Watch_25_Case_Studies_2020.pdf
 
•   Santa Monica Wellbeing Index 3 minute video youtu.be/fTFnuicV4_E
 
•   Moving Beyond the Divide In America: Insights from Wellbeing Metrics, Teenagers, and Sister Sledge by Carol Graham and Julie Rusk, Brookings Institute, March 2018 www.brookings.edu/blog/up-front/2018/03/28/moving-beyond-divide-in-america-insights-from-well-being-metrics-teenagers-and-sister-sledge/
 
•   RAND Wellbeing Partnership www.rand.org/capabilities/solutions/measuring-wellbeing-to-help-communities-thrive.html

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