Kommunikationstrend Oktober: Mali – ein Konflikt im Schatten

Zwei Fragen – kaum Antworten. Zur Erinnerung: Afghanistan und Mali stehen für die bisher größten – und im Fall Afghanistans – verlustreichsten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Im öffentlichen Bewusstsein spielen sie keine Rolle. Afghanistan ist Vergangenheit; ein zaghafter Versuch der Noch-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, ein Fazit der fast 20 Jahre währenden Präsenz am Hindukusch anzustoßen, fand – nicht zuletzt wegen des unglücklichen Timings kurz nach der Bundestagswahl - Anfang Oktober quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das deutsche Engagement südlich der Sahara mit bis zu 1600 Soldaten ist nun der größte Einsatz der Bundeswehr im Ausland.  Widerhall in den Medien? Fehlanzeige.

Drei Ereignisse haben in diesem Jahr die Lage in Mali und die Rolle der Bundeswehr dort für jeweils kurze Zeit über die sehr niedrige Aufmerksamkeitsschwelle gehoben. Am 24. Mai putscht das Militär gegen die Übergangsregierung N’Daw/Ouane, die erst neun Monate zuvor nach einem Militärputsch eingesetzt worden war. Von einem „Putsch im Putsch“ schreiben deutsche Medien. Am 25. Juni kommt es zu einem Selbstmordanschlag auf eine Bundeswehr-Patrouille, bei dem zwölf deutsche Soldaten verwundet werden, drei von ihnen schwer. Am 15. September melden diverse Medien, das Regime in Mali wolle 1000 Mann der russischen Söldner-Truppe „Gruppe Wagner“ anheuern. Die Regierungen Deutschlands und des in der Sahel-Zone besonders engagierten Frankreichs reagieren empört und drohen mit Abzug ihrer Kontingente. (Ende Oktober dementiert die malische Militärregierung, dass es Verhandlungen mit der Gruppe Wagner gebe.)

Alle drei Vorfälle finden Beachtung in den deutschen Medien, allerdings jeweils nur für wenige Tage. Berichterstattung und Kommentierung bleiben im Wesentlichen ein Feld für die sogenannten Leitmedien und fallen vergleichsweise dürftig aus angesichts der nach wie vor alles beherrschenden Beschäftigung der Medien mit Corona und dem Bundestagswahlkampf. 

Die Beschreibung der Vorgänge nach dem zweiten Putsch konzentriert sich naturgemäß auf die Rolle des malischen Militärs, dessen Machtstreben als Hauptursache für die prekären Verhältnisse im Land angeführt wird. Breiteren Raum nimmt die Reaktion Frankreichs ein, was nahe liegt angesichts der Tatsache, dass Frankreich der Hauptakteur unter den im Sahel engagierten außer-afrikanischen Mächten ist und Präsident Emmanuel Macron im Juni angekündigt hat, die französische Anti-Terror-Operation Barkhane im Sahel zu beenden. Dass Russland in Mali eigene Interessen verfolgt, wie sich jetzt anhand der Berichte über die „Gruppe Wagner“ zeigt, bleibt der deutschen Öffentlichkeit verborgen. Lediglich die Deutsche Welle erwähnt dies in zwei Beiträgen, die aber unbeachtet verhallen. 

Der „Putsch im Putsch“ rückt kurzzeitig einen neuen Aspekt ins Zentrum der Debatte: die Tatsache, dass die führenden malischen Militärs – wie viele hohe Offiziere aus anderen Ländern auch – an Bundeswehr-Einrichtungen ausgebildet wurden. Es gebe in Mali ein Offizierskorps, das auf dem Papier renommierteste internationale Armeeschulen besucht habe und trotzdem weder in der Lage sei, die Armee richtig zu führen noch republikanische und demokratische Strukturen zu akzeptieren, lässt sich etwa Thomas Schiller, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako, zitieren. Und „Die Welt“ stellt einen großen Artikel unter die Überschrift „Die Putschisten-Ausbilder“. Die meisten Medien aber geben sich schnell mit der fixen Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerin Kramp-Karrenbauer zufrieden, dass der Putsch „vorerst“ keine Auswirkungen auf den Bundeswehr-Einsatz haben werde. Die Mahnungen weniger Experten, die Bedeutung der Vorgänge nicht zu unterschätzen, werden von den Berliner Politikern in den Wind geschlagen, ebenso von den Medien. 

Nach dem Debakel des Abzugs aus Afghanistan wird in der Öffentlichkeit die Forderung laut, die Ziele des deutschen und des westlichen Engagements in Mali klarer zu definieren. Dabei wird vor allem die bisherige Konzentration auf den militärischen Aspekt in Frage gestellt. Viele Menschen in Mali nähmen die ausländischen Soldaten inzwischen eher als Besatzer wahr, heißt es in Berichten. Dies spiele auch religiösen Führern und Terroristen in die Hände. „Feuerwehreinsätze löschen Brände, aber das Haus bleibt erst mal eine Ruine“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Andererseits warnt etwa Carlo Masala, Professor für internationale Politik an der Bundeswehr-Universität München, vor einem ähnlichen Kurs wie in Afghanistan. Es gelte „zu realisieren, dass ein Afghanistan 2.0, das wir in Mali versuchen, auch dort nicht zum Erfolg führen wird. Die politische Zielsetzung einer umfassenden Stabilisierung samt Staatsreformen ist überhöht und verkennt die Lage vor Ort“, wird Masala in der „Welt“ zitiert.

Fazit: Im Sommer 2021 wird zum ersten Mal intensiver die „Sinnfrage" zum Bundeswehreinsatz in Mali gestellt. Hinterfragt wird, wie eine militärische Ausbildung des nationalen Militärs durch die Bundeswehr zu rechtfertigen sei, wenn dieses anschließend putscht und eine nicht-demokratische Regierung installiert. Und die durch den Angriff auf deutsche Soldaten nun deutlicher als bisher empfundene Gefährlichkeit des Einsatzes gibt der Debatte neuen Auftrieb, inwieweit staatlicher Instabilität und grenzübergreifendem Terrorismus mit militärischen Mitteln wirksam begegnet werden kann. Ob eine neue rot-grün-gelbe Bundesregierung den Auslandseinsätzen der Bundeswehr die gebührende   Aufmerksamkeit widmen wird, darf angesichts vieler militär-kritischer Stimmen bei SPD und Grünen bezweifelt werden. 

Auch wenn bundeswehrinfo.de brav fast täglich nette Filmchen aus dem Militärstützpunkt Camp Castor oder dem EU-Trainingszentrum Koulikoro twittert, ändert das nichts daran, dass Mali für die bisherigen Bundesregierungen zumindest eine Kommunikationskatastrophe ist. So dürfte Mali für die   deutsche Öffentlichkeit ein Konflikt im Schatten bleiben – und ein Nischenthema für einige wenige sicherheitspolitische Experten und für ein paar Medien, die sich noch einen Blick über den deutschen Gartenzaun leisten wollen und können. 

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