mfm - Interview: Drei+1 Fragen an den ersten Internetsoziologen Deutschlands, Professor Stephan G. Humer

Prof. Dr. Stephan G. Humer ist Diplom-Soziologe und Informatiker – und außerdem der erste Internetsoziologe Deutschlands. Das bedeutet, dass er mit Hilfe von soziologischen Methoden die Digitalisierung unserer Gesellschaft analysiert. Er beschäftigt sich dabei nicht so sehr mit den rein technischen Aspekten der Digitalisierung, sondern vielmehr mit der Beantwortung von sozialen Digitalisierungsfragen. Sein Buch „Internetsoziologie: Theorie und Methodik einer neuen Wissenschaft“ wird dieses Jahr im November veröffentlicht. Derzeit lehrt er als Professor an der Hochschule Fresenius in Berlin und leitet dort den Forschungs- und Arbeitsbereich Internetsoziologie. 

Wir sind auf Professor Stephan G. Humer, wie sollte es auch anders sein, über das Internet aufmerksam geworden und freuen uns, dass er sich Zeit für unsere Fragen genommen hat. 

1. Professor Humer, Sie sind der erste Internetsoziologe Deutschlands. Womit beschäftigen Sie sich als Internetsoziologe und was unterscheidet Sie von den herkömmlichen Soziologen?

Ich versuche, die Auswirkungen der Digitalisierung der Gesellschaft zu verstehen. Dafür bin ich sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene tätig. Auf der Mikroebene bearbeiten mein Team und ich einzelne, ganz unterschiedliche Projekte und Szenarien, auf der Makroebene wird versucht, die Projektergebnisse ins „große Ganze“ einzuordnen. Was mich von anderen Kolleginnen und Kollegen unterscheidet, ist sicherlich der Faktor Technik: Ich gehe stets tief in die Materie und nutze nicht ausschließlich sozialwissenschaftliche Methoden wie Umfragen, Interviews oder Beobachtungen. Ich analysiere auch Hard- und Software, und das sehr weitreichend. Das dürfte weiterhin eher die Ausnahme sein.

2. Wie hat das Internet Ihre Arbeit als Wissenschaftler verändert?

Rein wissenschaftlich: ausschließlich positiv. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, ohne Digitalisierung zu arbeiten – und das nicht nur, weil die Analyse dieser Technik mein Job ist (lacht). Ganz ernsthaft: Das Internet ist für die Wissenschaft einfach wunderbar. Es ist ein riesiger Gewinn in Sachen Information, Vernetzung, Forschungsinfrastruktur, Recruiting, Konferenzen … Problematisch sind eher andere Phänomene und Verhaltensweisen, die zwar immer schon existierten, aber nun natürlich auch im Internet auftauchen – vor allem die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit, die durch bestimmte Strukturen im Netz verstärkt wird. „Flat Earther“, Homöopathie-Fans, „Reichsbürger“ … die Vermittlung und Akzeptanz von Wissenschaft hat sich durch das Internet verändert, und das nicht immer nur zum Guten.

3. Zu welchen Forschungsergebnissen sind Sie bisher gekommen?

Als ein großes Zwischenfazit gilt für Deutschland: Wir sind abgeschlagen. Klar und deutlich. Es wurden mindestens drei Jahrzehnte voller Technikgestaltungschancen von Politik, gesellschaftlichen Institutionen und auch den Bürgerinnen und Bürgern weitestgehend verpennt. Früher, beispielsweise in den 1980ern und 1990ern, hat man entweder über Computer gelacht oder sie in weit entfernte Expertenbereiche abgeschoben: Entweder war Digitalisierung somit „Spielkram“ für zockende Kids oder reine Expertensache in Firmen, Fabriken und Laboren. Ein Riesenfehler! Denn heute fehlt uns eine brauchbare digitale Kultur in der Fläche. Digitalisierung wurde und wird sehr oft als Bedrohung und nicht als Chance gesehen. Und nun ist es in vielen Bereichen schlicht zu spät: Ein „deutsches Google“ oder „deutsches Amazon“ dürfen wir nicht mehr erwarten, denn dafür fehlt einfach der Spirit. Die USA und China sind vorne – und werden es wohl noch lange bleiben.

4. Welchen Umgang mit dem Internet raten Sie uns Bürgern? Worauf sollten wir achten?

Mein wichtigstes Wort in diesem Zusammenhang ist Empowerment: Nehmen Sie alle positiven Möglichkeiten wahr, lernen Sie, werden Sie besser, effizienter, stärker in Sachen Digitalisierung. Denn am Ende werden – trotz aller zunehmenden Unterstützung durch Unis, Firmen, Weiterbildungen usw. – viele Aufgaben schlicht an Ihnen hängenbleiben. Und einfaches Wischen über den Smartphone-Bildschirm reicht nicht. Wir haben historisch einzigartige Chancen, unser Leben individuell und passgenau auszugestalten, aber dafür braucht man auch Kompetenz. Das ist nicht nur arbeitsplatztechnisch, sondern ganzheitlich sinnvoll.

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