Vier Fragen an Frank Gemmer, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes Agrar e.V.

1. Herr Gemmer, nach 16 Jahren stellt sich die Bundesregierung nun komplett neu auf. Damit sind alle bisherigen Kontakte eigentlich obsolet. Wie bereitet sich ein Bundesverband auf solch eine Situation vor?

 Deutschland bekommt eine neue Regierung – in einer parlamentarischen Demokratie ist ein reibungsloser Machtwechsel doch eine Selbstverständlichkeit. Aber auch danach wird es, auf der Arbeitsebene der Ministerien und vor allem in den ihnen nachgeordneten Behörden, viele Kontinuitäten geben; der Betrieb geht schließlich weiter. Und natürlich sind auch die meisten Politiker, die in Zukunft als Minister oder Staatssekretäre die Geschicke der Ressorts lenken werden, keine Unbekannten.

 

2. Mit diesem neuen Bundestag kommen viele neue und junge Gesichter dazu, manch einer auch gleich in die Regierung. Ist diese Situation für Sie als Verband schwieriger, weil die „Neulinge“ eventuell noch nicht wissen, wie die Gepflogenheiten des Austausches sind?

 

Diese Gepflogenheiten unterliegen einem ständigen Wandel, und nicht jeder Abgeordnete handhabt die Kontakte zu Interessenvertretern gleich. Letztlich sind es die Abgeordneten, die entscheiden, welche Art Umgang sie mit Umwelt-, Sozial- oder Wirtschaftsverbänden führen wollen. Wir können letzten Endes nur Angebote machen – es ist allein an den Abgeordneten, ob sie zu unseren Veranstaltungen kommen oder uns zu Gesprächen einladen. Ein wichtiges Learning aus der Corona-Pandemie ist übrigens, dass Abgeordnete und ihre Stäbe digitale Formate zu schätzen wissen. Auch da erwarte ich in der neuen Legislaturperiode einiges an Veränderung.

 

3.  Pflegt man über einen Zeitraum von 16 Jahren auch den Kontakt zu den Oppositionsparteien, falls diese in die Regierung kommen? 

 

Unbedingt, ja! Und nicht nur, weil die Opposition von heute schnell die Regierung von morgen werden kann. Die Opposition hat im Parlament eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie kann durch kluge Anfragen Sachverhalte öffentlich machen, sie wirkt in Untersuchungsausschüssen mit und darf Sachverständige für Anhörungen benennen. Und wir sollten die föderale Ordnung unseres Landes auch nicht vergessen: Die Oppositionsparteien des Bundestages waren meist die Regierungsparteien in manchem wichtigen Bundesland. Kurzum: Weitsichtige Advocacy-Arbeit muss immer darauf bedacht sein, Kontakte zu allen demokratischen Parteien zu pflegen.

 

 

4. Wir hatten in den letzten Jahren zunehmende Diskussionen über die Legitimität von Interessenvertretungen von Branchen. Auch der Bundestag hat ein neues Lobbyregister bekommen. Fühlen Sie den gesellschaftlichen Rückhalt schwinden, ihr legales und legitimes Ziel der Interessensvertretung im Bundestag wahrzunehmen?

 

Der Alltag der Interessenvertretung im Bundestag ist viel unspektakulärer, als er oft dargestellt wird. Denn die Vertretung unterschiedlicher Interessen ist für den politischen Willensbildungsprozess schlicht unverzichtbar. Wie sonst sollten sich Abgeordnete schnell ein umfassendes Bild der unterschiedlichen Einschätzungen einer Gesetzesinitiative machen können? Für uns ist es dabei wichtig, dass sich die Vertreter aller Seiten an für alle gleiche Spielregeln halten – und dass sie transparent agieren.

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