Interview Martin Frommhold: Über Kommunikation und die Haltung von Unternehmen
F: Unternehmen sollen Haltung zeigen und sich in soziale, kulturelle und gesellschaftspolitische Diskurse mit eigenen Beiträgen und klar erkennbaren Positionen einschalten. Richtig oder falsch?
A: Weder noch. “Position beziehen“ klingt einfach, ist es aber nicht. Denn es ist arbeitsintensiv und die Tücke liegt im Detail. Klar, Unternehmen müssen vom Gesetzgeber geforderte Basiswerte hinsichtlich einer ethisch orientierten Kommunikation rund um Nachhaltigkeitsbelange, Inklusion oder sozialrechtlichen Themen standardmäßig abbilden. Darüber hinaus gibt es meiner Meinung nach aber Prämissen, die Unternehmen berücksichtigen sollten, bevor sie sich in gesellschaftspolitischen Debatten zu Wort melden. Dazu gehört, ausschließlich zu Themen Stellung zu beziehen, mit denen sie selbst real zu tun haben bzw. auf die sie Einfluss nehmen können oder dies nachweislich tun. Und das glaubhaft entlang eines transparent gelebten Wertesystems. Verbriefte Erfahrung steigert die Chance, sich profund auch kritischen Fragen stellen und Standpunkte unter Druck vertreten zu können. Wer dagegen ohne Hintergrund und verifizierbares Engagement über LGBTIQ* oder Nachhaltigkeit schwadroniert, wird sich schnell Pink- oder Green-Washing Vorwürfen aussetzen. Und das zu Recht. Allerdings sind die Grenzen fließend und der Wunsch, aus moralischen oder ethischen Gründen kommunizieren zu wollen, manchmal größer als der eigene thematische Horizont. Wir sehen das aktuell am Beispiel der zwingend notwendigen Solidarität mit Israel. Doch wie reagiert man hier richtig? Lösungen können Verbandsinitiativen, gemeinsame Aktionen mit anderen Unternehmen oder schlicht die Unterstützung von Stellungnahmen der Bundesregierung oder des Bundespräsidenten sein.
Doch selbst wenn Unternehmen überzeugend und glaubwürdig über Themen sprechen, zu denen sie sich werteorientiert positionieren, muss ihnen das in der Öffentlichkeit nicht zum Vorteil gereichen. Haltungskommunikation allein lässt keine „Love Brand“ entstehen, steigert nicht automatisch die allgemeine Beliebtheit und ist definitiv kein temporär an- und ausschaltbares Marketinggadget. Denn erstens leben wir in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft, in der sich radikaler Widerspruch immer schneller entwickelt und dabei häufig die größere, aber weniger organisierte und daher stillere Zahl potenzieller Befürworterinnen, übertönt. Und zweitens schützen selbst hochprofessionelle Bemühungen sowie Investitionen etwa in Nachhaltigkeit nicht davor, von fundamentalistischer Kritik vorgeführt zu werden. Folglich gilt: Wenn Unternehmen meinen, sich stärker auf Purpose und Haltung zu fokussieren, ist das nicht nur eine langfristige Richtungsentscheidung mit dem genauen Wissen, wo man steht, sondern es sollten dafür auch hinreichend valide Referenzen vorhanden sein. Zudem bedarf es professioneller Strukturen und Expertinnen, um eine dialogorientierte Kommunikation über unterschiedliche Kanäle ausüben zu können. Schließlich müssen bezogene Standpunkte in Echtzeit vertreten und verteidigt werden, was inhaltlich und emotional deutlich über alles hinausgeht, was man aus dem klassischen Kundenservice kennt. Und das macht keine Pressesprecherin oder Public-Affairs-Spezialist*in mal nebenher.
Wer extern Haltung zeigen und keine halben Sachen machen will, muss wissen, dass das Geld, Zeit und Ressourcen erfordert.
F: Also ist Haltung zeigen nur etwas für die großen Unternehmen, die sich das leisten können und wollen?
A: Nein. Aber es gibt in Deutschland fast 3,5 Mio. Unternehmen, von denen jedoch nicht mal 18.000 mehr als 250 Beschäftigte zählen. Wenn wir also über öffentliche Wahrnehmung sprechen, ist es für größere Einheiten mit einer professionell betriebenen Corporate Communication einfacher als für kleinere Betriebe, medial Interesse zu generieren oder zu gesellschaftspolitischen Themen über „owned media“ potenzielle Zielgruppen anzusprechen. Doch Haltung zeigt sich nicht nur in der reichweitenstarken Geste, sondern insbesondere in der täglichen Arbeit. Hierzulande stehen Unternehmen - egal welcher Größe - gemeinhin nicht am Spielfeldrand, sondern gestalten unsere Gesellschaft aktiv mit. Auch wenn dabei in der Regel die Bedürfnisse von Mitarbeitenden oder Kund*innen im Mittelpunkt stehen. Ohne ihr anteiliges Zutun in Bereichen wie Ausbildung, Arbeitsplätze, Steuern oder Verantwortungsübernahme für regionales, nationales und verstärkt internationales Gemeinwohl würde unser Wirtschafts- und Sozialsystem schlicht nicht funktionieren. Und insbesondere Familienunternehmen engagieren sich in ihrem lokalen Umfeld häufig mit großer Selbstverständlichkeit traditionell auch als Mäzene.
Unternehmen sind keine apolitischen Organisationen, sondern systemrelevant. Das gilt auch für ihre anleitende oder zumindest identitätsstiftende Wirkung gegenüber Mitarbeitenden. Wo täglich viele Menschen aufeinandertreffen, um gemeinsam an etwas zu arbeiten, können über die interne Kommunikation eine Menge Themen angeboten, Informationen bereitgestellt und vermittelt werden. So werden aus Mitarbeitenden bestenfalls Multiplikatorinnen und Influencerinnen, beispielsweise wenn in Unternehmen dazu aufgerufen wird, an Wahlen teilzunehmen, Blut zu spenden oder die Arbeit interner Communities bekannt zu machen. Die Unternehmenskultur ist der Katalysator für gesellschaftliches Engagement und verfolgte Werte. Betriebe können ihre Mitarbeitenden auch direkt an Aktivitäten für das Gemeinwohl beteiligen, z. B. über Corporate Giving, also Geld- und Sachspenden. Oder Corporate Volunteering, sprich die Bereitstellung von Personalressourcen und Knowhow für unterstützenswerte Projekte. Insgesamt schaffen Unternehmen so potenziell ein enormes Sozialkapital und jede Menge Content, der sich kommunikativ nutzen lässt.
F: Reicht denn der Status Quo? Oder sind insbesondere die großen, milliardenschweren Unternehmen der Gesellschaft - angesichts sozialer Umbrüche vielleicht auch perspektivisch - mehr Haltung und Engagement schuldig?
A: Wirtschaftsbetriebe haben sich an Gesetze zu halten, aber sie sind nicht die UN. Egal wie klein oder groß Unternehmen sind: Sie verfolgen wirtschaftliche Ziele, müssen sich im internationalen Wettbewerb behaupten, um Arbeitsplätze zu sichern sowie Gewinne erzielen, um zukunftsfähig zu bleiben. Die Unterstellung, dass Unternehmen der Gesellschaft mehr Haltung oder Engagement schuldig sind, halte ich für falsch. Im Gegenteil stehen sie doch mitten im gesellschaftlichen Geschehen – direkt als aktiver Gestalter sowie als Umgebung, in der Mitarbeitende sich austauschen, vielleicht Communities aufbauen, dabei firmenintern Unterstützung erfahren und nach draußen wirken können. Eben dafür stehen bei OTTO Plan F, das Fe*Male-Netzwerk, oder MORE, unsere queere Community.
Als Teil der Gesellschaft und Corporate Citizen sind Unternehmen – insbesondere die größeren - - zudem wie alle Bürger*innen auch aufgerufen, ihre Stimme gegen verfassungsfeindliches Handeln zu erheben, für unsere freiheitliche Grundordnung einzutreten und sich für ein vielfältiges Zusammenleben stark zu machen. Unterstützt werden kann das noch durch verantwortungsvoll konzipierte Werbung, schließlich passen Rollenklischees und Stereotype definitiv nicht zu einer vielfältigen Gesellschaft. Eine besondere Verankerung erreichen insbesondere größere Unternehmen folglich dann, wenn sie ein Abbild unserer Gesellschaft sind. Und diese ist den vergangenen dreißig Jahren deutlich „bunter“ geworden, egal ob durch Migration, um ihre Rechte streitende Minderheiten oder die verschiedenen Generationen und ihre partiell divergierenden Interessen. Mehrheitsgesellschaft und Diversity in Einklang zu bringen, ist eine große Aufgabe und Unternehmen tun im Sinne ihrer künftigen wirtschaftlichen Erfolge gut daran, sich dafür stark zu machen. Ein Anfang dafür könnte ausgerechnet wieder Kommunikation sein, allerdings in diesem Fall die werbliche Variante. Viele große Marken und Unternehmen, auch wir, werden immer wieder – wenngleich zu Unrecht – dafür kritisiert, insbesondere Mode in einem Missverhältnis überwiegend von PoC-Modellen präsentieren zu lassen, was mit dem realen Gesellschaftsbild nichts zu tun habe. Ausgehend davon setzt sich die Diskussion dann häufig schnell in Richtung politisch gewollter Überfremdung fort – und das mit eindeutig rassistischen Tönen. Wir halten argumentativ dagegen, aber das ist ein leider nicht zu gewinnender Kampf gegen fixierte Vorurteile. Da stoßen wir selbst als großes Unternehmen an Grenzen. Allemal interessant und auch argumentativ hilfreich finde ich in diesem Kontext allerdings die Idee, an einer zertifizierten „Diversity-Quotierung“ für Bildwelten, die exakt abbildet, wie sich unsere Gesellschaft zusammensetzt, zu arbeiten.
Angenommen, in Deutschland tragen 3 Prozent der Frauen Kopftuch. Dann setzt man das virtuell bei der Produktpräsentation um. 15 Prozent unserer Mitbürger*innen sind People of Colour? Dann wird das entsprechend abgebildet - und zwar mit offiziellem Verweis auf soziodemographische Daten. Klingt kompliziert? Ist es wahrscheinlich auch. Aber gegen einfältige Stereotype hilft Kreativität - und ganz bestimmt Künstliche Intelligenz. Und um unsere gesellschaftliche Realität objektiv, fair und integrativ abzubilden, wäre es definitiv an der Zeit für einen solchen Versuch.