Zwischen Kunst, Symbolik und kollektivem Gedächtnis - Ein Kommentar

Wenn ich meine Mitmenschen frage, ob sie "Bored Ape Yacht" kennen, ernte ich meist ratlose Blicke und Kopfschütteln. Sobald ich jedoch ein Werk dieser Gruppe präsentiere, zaubert es fast ausnahmslos ein Lächeln auf die Gesichter, gefolgt von einem zustimmenden Nicken. "Natürlich, diese Affen. Das ist doch NFT-Kunst, oder?" Ein beinahe universelles Erkennen, das zeigt, wie sich selbst in den entferntesten Ecken des (digitalen) Kunstuniversums ein Wiedererkennungswert manifestiert hat. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn man überlegt, dass eine bemerkenswert lange Liste an Berühmtheiten nicht nur einen "Ape" besitzen, sondern ihn zum Teil auch stolz öffentlich in Szene setzten.

Eine kurze Google-Recherche nach den maskierten, teils skurrilen Primaten, öffnet ein Fenster in die Welt des Spekulationsmarktes. Man erkennt, die Linien zwischen Kunst und Investition sind auch in diesem digitalen Bereich von stark bis zur Unkenntlichkeit verschwommen, und man findet sich schnell in einem Diskurs über den sich wandelnden Stellenwert von NFTs und ihrer Bedeutung im digitalen Zeitalter wieder. Ein scheinbar simples Google-Suchergebnis, welches eine tiefere Ebene der Er- und Aufklärung über die Verflechtungen von Kunst, Technologie und Finanzwelt entfaltet.

Abseits der humoristischen Fassade jedoch, die die Betrachter vielleicht zunächst anspricht, offenbart sich bei genauerem Hinsehen eine tiefere Ebene, die alles andere als trivial ist. Insbesondere bei einer vertieften Auseinandersetzung mit den vermeintlich simplen Affen-Portraits, wird eine engere Verflechtung zur NS-Symbolik deutlich. Diese Verknüpfungen sind keineswegs singulär, sondern ziehen sich durch die Gruppe und ihr gesamtes Œvre, wie auch die Affen selbst. Davon sind auch die User-Namen der Gruppenmitglieder wie auch das Gruppenlogo nicht ausgenommen. Einmal mit den deutlichsten Symbolen des NS-Regimes vertraut, fallen die plakativen Easter-Eggs auf, wie leise Mahnrufe in einem scheinbar spielerischen Kunstuniversum. Wer sich auf diese leisen Töne einlässt, erkennt eine Schattierung der Vergangenheit, die im Licht der gegenwärtigen Kreativität unerwartet und zugleich beunruhigend hervortritt.

Diese, in den meisten Fällen, offensichtlichen Anspielungen, lösen bei mir gerade dann, wenn der Betrachter diese nicht zu erkennen vermag, eine Plethora an Fragen über die Verantwortung der Kunstschaffenden aus. Sicherlich ein Thema, welches wissenschaftlich aufbereitet werden könnte, doch hier möchte ich zunächst erste Fragen aufstellen, deren Antworten ich schwer oder gar nicht in einer einfachen Google-Suche finde.

Fragen zur Prominenz und Marketingoffensive:

Romantiker glauben den Geschichten vom plötzlichen Ruhm. Wenn man etwas realistischer ist, weiß man, dass jeder Erfolg, insbesondere in diesem Maße, einer soliden Strategie bedarf. Die Aufmerksamkeit, die Bored Ape Yacht genießen durfte, scheint insofern das Resultat fabelhaften Marketings zu sein. Aber was für ein Wert wird diesem in der Gesellschaft, oder auch in den Geisteswissenschaften beigemessen?

Fragen zum Umgang mit geschichtlichen Fragmenten:

In der Kunst ist viel erlaubt. Doch vieles bedarf auch einer Erklärung. Einem Kontext. Etwas, was insbesondere die prominenten NFT-Kunstwerke als verbindlichen Bestandteil des Kunstschaffens dezidiert vermissen lassen. Aber sollten wir es nicht trotzdem (hinter)fragen? Was für eine Funktion haben die omnipräsenten NS-Symbole, oder finden wir den Kontext selbsterklärend? Sollte Kunst denn überhaupt ethische Grenzen tangieren, wenn die Kunstschaffenden diese in keinen Kontext setzen wollen? Kann die scheinbare Kontextlosigkeit solcher Symbole als künstlerischer Ausdruck oder als gefährliche Verharmlosung verstanden werden?

Idee des kollektiven Gedächtnisses:

Gerade der Aspekt, dass viele Betrachter nicht einmal die offensichtlichsten NS-Symbole augenblicklich erkennen können, lassen vielleicht den einen oder anderen an Hannah Arendt denken. Sie mahnt vor geschichtlicher Amnesie, und betont die Wichtigkeit eines kollektiven Gedächtnisses. Beides Begrifflichkeiten, die flächendeckendes Common-Sense innerhalb einer Gesellschaft beschreiben. Gehen wir also davon aus, dass eine kollektive Amnesie den Kreislauf der Wiederholungen befeuern kann, sollte uns dann dieses scheinbare Nicht-Erkennen geschichtlicher Fragmente nicht eine Mahnung sein?

Bedeutung, Stellenwert und Funktion von Kunst:

Die Maxime, dass Kunst prinzipiell frei sei, prangt wie ein Credo in den Annalen der kreativen Schöpfung. Doch in dieser vermeintlichen Freiheit, verwebt sich Kunst oft mit den subtilen Fäden von Angebot und Nachfrage. Ein Paradox, das nicht nur in der heutigen Zeit, sondern sicherlich bis zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte zurückzuverfolgen ist. Nur ein Beispiel: die Historienmalerei und die "l'art pour l'art"-Bewegung. Hier propagierte die Akademie, wie auch der Salon, zur Last der Bedeutung während manche Künstlergruppen zur simplen Schönheit des reinen Seins appellierten.

Bedeutungsbeladen oder einfach nur sein – ein Dilemma, das die Essenz der künstlerischen Freiheit in all ihren Nuancen einfängt. Doch wenn sich die Grenzen der Freiheit ausdehnen, stellt sich zwangsläufig die Frage: muss jede Form von Freiheit in der Kunst ausgelebt werden? Diese Überlegung wird zu einem Spiegel, der das Gleichgewicht zwischen kreativem Ausdruck und ethischer Verantwortung reflektiert. In einem Zeitalter, in dem die Freiheit der Kunst zu einem Banner der Selbstbestimmung geworden ist, entsteht ein bedeutungsschwerer Dialog über die Grenzen hinaus, die den Raum der künstlerischen Freiheit umgeben und die feine Linie zwischen Selbstausdruck und gesellschaftlicher Verantwortung markieren. Welche Rolle sollte die Kunst in der heutigen Zeit spielen, und wie kann sie die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen, ohne dabei in die Gefahr der Bagatellisierung zu geraten?

Fazit:

In der Unendlichkeit der Fragen können sich Antworten nur wie schüchterne Schatten abzeichnen, vielleicht sogar noch bevor die Frage ihren Abschluss findet. Doch die wahre Essenz liegt weder in der Frage selbst, noch in den potenziellen Antworten; sie entspringt einem tiefgreifenden Bewusstsein. Die Naturwissenschaften gewähren uns die Fähigkeit, das Wesen der Dinge um uns herum mikroskopisch genau zu erforschen, während die Geisteswissenschaften uns zärtlich die Augen öffnen, um in dem, was wir sehen, die verborgenen Nuancen zu erkennen.

Weder Verbote noch Tabus können uns dabei sensibilisieren, sondern stumpfen uns lediglich ab. Nichts ist erleuchtender als ein intrinsischer Wille zu verstehen und richtig handeln zu wollen. Rudolf Virchow formulierte einst treffend: "Freiheit ist nicht die Willkür, beliebig zu handeln, sondern die Fähigkeit, vernünftig zu handeln." In dieser Aussage schwingt die schwere Bedeutung von Selbstverantwortung mit; ein Schlüsselbegriff, der niemals an Relevanz verlieren, oder einer kollektiven Amnesie zum Opfer fallen sollte.

Und inmitten all dieser Überlegungen fällt das Schlaglicht auch auf das Thema PR und Marketing: kühn behaupte ich, es wäre wirklich erfrischend, wenn beispielsweise die Utopie von Gerechtigkeit, Fairness und Weltfrieden einmal prominent im Kunst-Trend läge. Vielleicht denkt sich jetzt auch schon der ein oder andere "Hey, wo ist denn da die Auseinandersetzung mit einem tiefliegenden Trauma, der Shock-Moment, der disruptive Charakter, die erfrischende Empörung, eine archetypische Kontroversität- simply: der Unique Selling Point an diesem Konzept?" Mhm... wäre es nicht skandalös genug nicht einmal davon träumen zu können? Nur mal ein radikaler Gedanke.

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