Drei Fragen an: Dr. Hauke Hartmann

Die Bertelsmann Stiftung hat in dieser Woche die neue Ausgabe des Transformationsindex (BTI) vorgestellt. Seit knapp 20 Jahren analysiert und bewertet die Stiftung weltweit die Qualität von Regierungen, analysiert den Zustand demokratischer Staaten und den Zugang zur Marktwirtschaft. Untersucht werden 137 Staaten nach 17 Kriterien, und alle zwei Jahre werden die verdichteten Zahlen veröffentlicht.

Wer mehr Informationen dazu lesen möchte, bitte hier entlang: https://bti-project.org/de/methode

Dazu haben wir Dr. Hauke Hartmann, Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung interviewt. Er ist zuständig für den Transformationsindex.

F: Herr Hartmann, 2024 ist global gesehen ein Superwahljahr. Rund 2,5 Milliarden Menschen in 60 Ländern dürfen wählen. Viele politische Beobachter sagen, dass sich durch diese Wahlen das politische Klima weltweit stark ändern wird. Weniger Demokratie, mehr Populismus. Sie haben die Zahlen - bestätigen ihre Zahlen diesen Eindruck, und können Sie kurz die Ergebnisse zusammenfassen?

A: Erst einmal stellt sich natürlich – leider – die Frage, wo überhaupt hinreichend frei und fair gewählt werden darf, wo machen Urnengänge einen tatsächlichen Unterschied. In rund der Hälfte aller Fälle ist das nicht gegeben. In Aserbaidschan oder Bangladesch hat es bereits Wahlen ohne nennenswerte Oppositionsbeteiligung gegeben, nachvollziehbarerweise, denn an eine freie Abstimmung über politische Präferenzen war nie gedacht. Immerhin ist es interessant, dass das Legitimationsdefizit in so vielen Autokratien so hoch zu sein scheint, dass man meint, dieses durch Scheinwahlen aufpolieren zu müssen.

Ansonsten stehen spannende und richtungsweisende Wahlen an. Im südlichen Afrika beispielsweise wird in Botswana, Namibia und Südafrika gleich in den drei Ländern gewählt, die als stabile demokratische Nationen gelten. Hier ist die Frage, ob sich die langjährigen Regierungsparteien, die ihre Meriten im Zuge der Dekolonisierung oder Abschaffung der Apartheid gewonnen haben, werden halten können. Viel spricht dafür, auch wenn die Grenzen zwischen Staat und Regierungspartei immer mehr verschwimmen und die Tore öffnen für Korruption und Günstlingswirtschaft.

In Ghana und Senegal sind zwei demokratische Bannerträger Westafrikas am Start, einer Region, die noch vor vier Jahren nahezu komplett demokratisch regiert war und nun durch Putsche und Aushöhlung der Gewaltenteilung fast durchgängig Autokraten an der Macht hat. Wie werden sich die Demokratien dieser Länder bei den Wahlen behaupten? Wir wissen um die Dominoeffekte regionaler Demokratisierung oder Autokratisierung, aber die BTI-Daten belegen eine geschwächte, aber noch immer hinreichende Stabilität demokratischer Institutionen.

In Indien, der größten Demokratie der Welt, spricht wenig für einen Richtungswechsel. Narendra Modi sitzt weiterhin fest im Sattel und wird seinen hindu-nationalistischen, letztlich demokratiefeindlichen Kurs fortsetzen. Der Machismo Mexikos wird eine weibliche Präsidentin aushalten müssen. Viel spricht für Claudia Sheinbaum, die ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt und Kandidatin der Regierungspartei, die hoffentlich mit dem illiberalen Kurs ihres Vorgängers brechen wird.

Die Frage nach dem Populismus ist aus europäischer und US-amerikanischer Sicht verständlich, fürchten wir doch einen Zuwachs rechtsautoritär-populistischer Kräfte. Sie ist aber kein bestimmendes Signum der meisten anstehen Wahlen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

 

F: Gibt es eine Erklärung dafür, warum Staaten, die noch vor wenigen Jahren in ihrem Index gut abschnitten - 2018 waren es noch ein Drittel aller untersuchten Länder, die eine Good Governance vorweisen konnten - warum die sich in einer Abwärtsspirale befinden? Und welche Rolle spielen dabei die zwei Coronajahre?

A: Sie fragen zurecht nach den Folgen der Pandemie, aber ich würde es gerne noch etwas weiter fassen. Seit einigen Jahren kommen viele Entwicklungsländer aus dem Krisenmodus überhaupt nicht mehr heraus. Nehmen Sie den Einbruch der Rohstoffpreise in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts, der insbesondere in Lateinamerika und im südlichen Afrika gravierende sozioökonomische Notlagen produzierte. Dann völlig richtig, die Coronapandemie mit einem globalwirtschaftlichen Einbruch von bis dato unbekanntem Ausmaß, der unter anderem dazu führte, dass die extreme Armut zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder deutlich anstieg – gepaart mit der durch die Globalisierung verstärkten sozialen Ungleichheit in vielen Gesellschaften. Die postpandemische Inflation wurde dann noch durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine befeuert, da beide Länder wesentliche Rohstoff- und Nahrungsmittelproduzenten sind.

All diese Entwicklungen setzen Regierungen unter extremen Stress, und sie gehen sehr unterschiedlich damit um. In gefestigten Demokratien wie im Baltikum, in Taiwan oder in Uruguay haben wir herausragend souveränes Krisenmanagement gesehen, das evidenzbasiert und vorausschauend steuerte und partizipativ ausgerichtet die betroffene Bevölkerung mitnahm. In anderen Demokratien werden mitunter schlechte Krisenmanager abgewählt, und das teils völlig zu Recht, aber eben auch mitunter durch Politiker mit autoritären Tendenzen ersetzt. Wir haben dies beispielsweise in Benin, El Salvador und Tunesien gesehen, wo demokratisch gewählte Staatschefs die Gewaltenteilung ausgehebelt haben, zugunsten einer vermeintlich effizienteren, weil unkontrollierten Regierungsführung. Dieses Effizienzversprechen von Autokraten, auch dies können wir mit unserer Untersuchung belegen, geht nahezu nie auf. Unter den 50 Ländern mit den korruptesten, verschwenderischten und unfairsten Systemen befinden sich 46 Autokratien.

Auch Autokratien wurden durch die Krisen unter Druck gesetzt. Autokratische Herrscher haben keine Legitimität durch Wahlen, auf die sie sich berufen könnten und sind noch einmal mehr darauf angewiesen, guten Output zu liefern – im Sozialen, in der Bildung, im Gesundheitssystem. Die meisten dieser Autokratien dienen der Selbstbereicherung, diese Regime steuern eine sozial inklusive Entwicklung gar nicht erst an. Deshalb stehen sie in Krisen ziemlich blank da und müssen sich durch noch härtere Repression an der Macht halten. Auch dies ist ein zentraler Grund für das Absinken des globalen politischen Transformationsstands.

 

F: Was bedeutet denn diese Tendenz zur Bad Governance global gesehen? Wird die weltpolitische Lage unsicherer, werden Konflikte zunehmen? Gibt es dazu eine Prognose?

A: Ja, hier verstärken sich mehrere Aspekte. Zum einen sind die meisten autoritäre Regime innenpolitisch durch einen konfrontativen, polarisierenden Stil gekennzeichnet, der dazu tendiert, sich auf die Außenpolitik zu übertragen. Wenn sich der türkische Präsident beispielsweise innenpolitisch die nationalistische und islamistische Karte spielt, kann er weder außenpolitisch das Gesicht verlieren noch sich allzu deutlich von Glaubensbrüdern – unbeschadet von deren politischem Kurs – abgrenzen. Zum zweiten nehmen Autokraten benachbarte Demokratien als Bedrohung wahr. Sie repräsentieren eine (meist erfolgreichere) Systemalternative, so dass autoritären Regime an der Destabilisierung demokratischer Nachbarn gelegen ist – und dies kann, wie im ukrainischen Fall, bis zur offenen Aggression reichen, die auch China dem erfolgreicheren Nachbarn Taiwan androht. Zum dritten schließlich beobachten wir autokratische Blockbildungen, entweder regional wie aktuell in Westafrika, oder auch global, mit einer derart autoritären Erweiterung der BRICS-Staaten, dass sich Brasilien oder Südafrika schon die Frage gefallen lassen müssen, was sie in einem solchen Club eigentlich noch verloren haben. All dies verstärkt regionale und auch globale Instabilitäten. Es wäre ein guter Zeitpunkt für die reichen OECD-Staaten, ihre bisherige Politik und Einstellung dem Globalen Süden gegenüber zu hinterfragen und tragfähigere, glaubwürdigere Kooperationsangebote zu machen.

 

F: Wenn sich dadurch der Druck auf die verbliebenen Demokratien erhöht, was kann man tun, um sie zu stärken?

A: Zum einen ist es wichtig, die demokratische Glaubwürdigkeit nach innen zu erhöhen. Die Europäische Union ist mit dem Rechtsstaatsmechanismus bereits einen guten Schritt in die richtige Richtung gegangen und muss sehen, ihre Handlungsfähigkeit und damit demokratische Flexibilität auch gegen autoritäre Blockierer behaupten zu können. Unter Präsident Trump haben wir gesehen, wie destabilisierend es sein kann, wenn die Glaubwürdigkeit einer führenden demokratischen Nation erschüttert wird. Zur Glaubwürdigkeit nach außen gehört aber auch, Zusagen (beispielsweise bei der Klimafinanzierung oder der Impfstoffversorgung) einzuhalten, um überzeugend für eine regelbasierte und liberale internationale Ordnung einzustehen und auch zu werben. Demokratinnen und Demokraten dürfen zudem nicht allein gelassen werden, brauchen zuverlässig Unterstützung oder Zuflucht, so wie die vor staatlicher Repression flüchtenden Demonstrantinnen und Demonstranten aus dem Iran, Myanmar oder Sudan ebenso wie die afghanischen Ortskräfte. Schließlich sollte ein Schwerpunkt internationaler Zusammenarbeit die Stärkung demokratischer Institutionen, insbesondere im rechtsstaatlichen Bereich, sein.

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