Kommunikationstrend Oktober: Corona und die Medien - ein Kommentar von Peter Blechschmidt
Da ist er also nun, der zweite Lockdown. Angeblich in der Light-Version. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat „das Unheil“ ja schon früh heraufbeschworen. Corona-Cowboy Markus Söder wurde vor jeder Fernsehkamera zum leibhaftigen Menetekel. Und die Medien quollen über von Durchhalteparolen und Solidaritätsappellen. Darf man es unter diesen Bedingungen wagen, sich dem Chor der Apokalyptiker zu verweigern? Skeptisch zu bleiben gerade auch mit Blick auf „die“ Medien?Ich riskier’s. In den ersten Wochen der Pandemie und des sogenannten Lockdowns gab es, darüber herrscht weitgehend Einigkeit in den einschlägigen Kreisen, einen nie gekannten Gleichklang zwischen Politik und Medien. Die faktische Entmachtung der Parlamente, massive Eingriffe der Regierenden in Grundrechte, Freiheitsbeschränkungen für jeden Einzelnen bis hin zu menschenunwürdigen Isolierungen Älterer, existenzgefährdende Auflagen für Unternehmen und Selbstständige – all das wurde von der Gesellschaft klaglos hingenommen, ja als alternativlos akzeptiert. Der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl weist dabei den Medien eine entscheidende Rolle zu. Er beobachte einen „Overkill“ an Corona-Berichterstattung in den Leitmedien, schrieb Russ-Mohl kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. Und stellte eine provokante These auf: „Nicht die Regierenden haben die Medien vor sich hergetrieben, wie das Verschwörungstheoretiker so gerne behaupten. Vielmehr haben die Medien mit ihrem grotesken Übersoll an Berichterstattung Handlungsdruck in Richtung Lockdown erzeugt, dem sich die Regierungen in Demokratien kaum entziehen konnten.“
In den meisten Redaktionen dürfte Russ-Mohls Behauptung auf wütenden Protest gestoßen sein. Journalisten zeigen sich sehr dünnhäutig, wenn sie selbst auf den Prüfstand gestellt werden; frühere kritische Analysen der Corona-Berichterstattung in Deutschland wurden unisono mit Abscheu und Empörung zurückgewiesen. Doch auch ohne akkurate Strichlisten geführt zu haben, darf man sagen, dass es in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Leitartikeln und TV-Kommentaren gegeben hat, in denen Journalisten die Regierenden zu noch härterem Durchgreifen aufforderten, als die Politiker selbst zu beschließen gewagt hatten.
Und der Reflex ist ja wieder da. Als Kanzlerin Merkel sich nach einer Konferenz mit den Ministerpräsidenten der Länder Mitte Oktober unzufrieden mit den Beschlüssen der Runde zeigte, die ihr nicht weit genug gingen, fand sie in zahlreichen Medien dafür ausdrücklich Unterstützung. Ohne dass, nebenbei bemerkt, aus den Berichten und Kommentaren deutlich geworden wäre, was genau Frau Merkel sich unter einem härteren Vorgehen vorgestellt hatte.
Woran liegt das? Da ist zum einen der „Herdentrieb“, auf den auch Russ-Mohl hinweist. Wenn fast alle einer Meinung sind, fällt es dem Einzelnen schwer, eine Gegenposition zu beziehen. Zumal in Zeiten der sogenannten sozialen Medien – die ja alles andere als sozial sind und Abweichungen vom Mainstream sofort und gnadenlos anprangern.
Da ist zum anderen der „Haltungsjournalismus“, der sich unter Medienschaffenden immer breiter macht. Einer zunehmenden Zahl von Journalisten geht es heutzutage nicht mehr darum, in erster Linie für ihre Leser und Hörer Fakten und Sachwissen aufzubereiten, sondern eine bestimmte, natürlich „die richtige“, Haltung zu vermitteln. „So eilt der neue Journalismus von Front zu Front, getrieben vom Vorsatz, dem Guten und Gerechten zu dienen, zum Sieg zu verhelfen“, schrieb der ehemalige „Monitor“-Redakteur Claus Richter Ende Juni im Magazin „Cicero“. Und dabei, so möchte man ergänzen, versäumt es dieser neue Journalismus, auch ungeliebte Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen.
Nun hat sich in der Corona-Berichterstattung der deutschen Medien seit dem Sommer etliches geändert, was sicher auch der zeitweiligen Entspannung in den vergangenen Monaten zu verdanken war. Auch Skeptiker eines allzu rigorosen Regierungshandelns kamen mittlerweile in den Medien zu Wort. Nicht jeder Zweifler wurde automatisch als „Covidiot“ verteufelt. Berechtigung und Wirksamkeit einzelner Maßnahmen wurden zunehmend hinterfragt - nicht zuletzt dank einschlägiger Gerichtsentscheide.
Doch nun schlägt das Pendel zurück. War das Schüren von Ängsten zu Beginn der Pandemie bewusster Teil der regierungsamtlichen Strategie, damit den Anweisungen auch nur ja Folge geleistet werde, so hatten die offiziellen Mahnungen und Warnungen inzwischen Züge von Panikmache angenommen. Manch autoritärer Spruch von Söder bis zu Kanzleramtschef Helge Braun klang wie eine Drohung mit dem schwarzen Mann für ungezogene Kinder. „Angst war noch nie ein guter Ratgeber“, hat Merkel vor einiger Zeit in anderem Zusammenhang eine alte Spruchweisheit übernommen. Davon scheint sie nichts mehr wissen zu wollen.
Die Angstmache wirkt, auch abseits von Kaufhäusern und Fußgängerzonen. Im Berliner Tiergarten mehren sich die Radfahrer, die bei frischester Luft mit Gesichtsmaske ihr gesamtgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein unter Beweis stellen. Und in manchen Supermärkten geht – so lächerlich das klingt – wie zu Beginn der Pandemie das Toilettenpapier aus.
Bleibt zu hoffen, dass nicht auch die Medien – oder wenigstens eine große Zahl der dort Tätigen – in alte Corona-Verhaltensmuster zurückfallen. Sie sollten, wie kürzlich der Filmproduzent und Medienprofessor Ingo Schünemann im „Cicero“ schrieb, Politik und Wissenschaft daran erinnern, „dass der Diskurs, das Ringen um die richtige Position keine gesellschaftliche Gefahr, sondern eine Grundvoraussetzung für ihre Akzeptanz und damit auch für potentiellen Fortschritt darstellt“.